Ukraine – Gespräch mit Omid Nouripour MdB und Siegfried Bogdanski

Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Omid Nouripour sprach am Dienstagabend in einer Online-Veranstaltung über den Krieg in der Ukraine. Danach konnten die Teilnehmenden Fragen stellen. Beschlossen wurde die Veranstaltung mit Berichten aus der Ukraine: Siegfried Bogdanski las die bewegenden Schilderungen von seinen ukrainischen Freunden vor.

 

„Es ist nicht vorhersehbar, was noch passieren wird. Es besteht die reelle Gefahr, dass Chemiewaffen eingesetzt werden könnten. Schließlich wurden von russischer Seite nachweislich schon andere Kriegsverbrechen begangen.“ So äußerte sich Omid Nouripour sehr besorgt gleich zu Beginn.

 

Die Friedenspartei

 

Bei der Verfassung des Grünen Parteiprogramms seien Zeiten wie heute nicht für möglich gehalten worden. Schließlich seien die Grünen als Friedenspartei gestartet und verträten bis heute pazifistische Ziele. Diplomatie sei und bleibe das oberste Gebot. Eine Konfrontation von Russland und der Nato müsse verhindert werden.

 

Die Grünen verurteilen weiterhin Krieg und den Einsatz von Waffen. Gleichzeitig gelte aber das in der UN-Charta verbriefte Recht auf Selbstverteidigung. Grüne Sicherheitspolitik bestehe aus mehr als nur Aufrüstung. Bei der Festlegung der Rüstungsausgaben müsse europäisch gedacht und gehandelt werden.

 

Es zeigt sich, dass Erneuerbare Energien nicht nur umwelt- und klimafreundlich sind, sondern auch ein essentielles Friedensprojekt. Herausfordernd sei allerdings der schnelle Ausbau.

 

Unter den Geflüchteten, die im Lahn-Dill-Kreis ankommen, sind hauptsächlich Kinder und Frauen. Sie brauchen schnelle, unbürokratische Hilfe mit Blick auf Beschäftigung, Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung und (Schul-)Bildung.

 
 

Der folgende Text stammt von Siegfried Bodgandski.

 

Siegfried Bogdanski – Heldenhafter Kampf der Ukrainer:innen. Persönliches

15. März 2022
(vorgetragen auf der Informationsveranstaltung der GRÜNEN Lahn-Dill zum Ukraine-Krieg)

 

„Ich bin 1949 in Wetzlar geboren und hier aufgewachsen. Mein Vater stammt aus Ostpreußen und kam nach dem 2. Weltkrieg aus amerikanischer Gefangenschaft nach Wetzlar. Meine Mutter kam als Flüchtling aus dem Sudetenland. Als Kind und Jugendlicher habe ich viele Erzählungen beider Familien gehört und so in Bezug auf den 2. Weltkrieg eine Vorstellung von den schrecklichen Erfahrungen und Entbehrungen von Geflüchteten bekommen.

 

So geht mir das Schicksal der für ihre Freiheit und staatliche Unabhängigkeit kämpfenden Ukrainer:innen in besonderer Weise nahe. Hinzu kommt, dass ich 2006 in der Ukraine mit der jungen Szene für Tango Argentino in Kontakt kam.
In der Folge war ich viele Male zum Tanzen in der Ukraine und habe Land und Leute kennen und lieben gelernt und habe landesweit viele Freunde und Freundinnen.

 

Mit dem Euromaidan 2013/14 hat ein zaghafter Austausch über politische Einstellungen begonnen. Einig war man sich weitgehend, dass man den Anschluss an Europa wollte, in Freiheit und staatlicher Unabhängigkeit. Hinsichtlich der politischen Präferenzen, um das zu erreichen, gab es ein weites Spektrum, angefangen von vielen Indifferenten, die sich eher aus der Politik raushalten wollten, über die, welche verschiedene politische Richtungen unterstützten, bis zu denen, die aktiv und kämpferisch auf dem Maidan auf die Barrikaden gingen.

 

Die Annexion der Krim 2014 durch die Russische Föderation und in der Folge der Krieg im Donbass waren eigentliche Beginn des Kriegs gegen die Ukraine. Damit haben sich in der Ukraine Einstellungen vielfach verschoben. In die Richtung, sich ausdrücklich gegen die Aggression Russlands und die Versuche russischer Einflussnahme zu positionieren, sich zu engagieren und öffentlich ins ozialen Netzwerken Stellung zu beziehen.

 

Der Krieg, den Putin am 24. Februar mit neuer, terroristischer Ekalationsstufe in der gesamten Ukraine fortgesetzt hat, ist auch in der Ukraine eine Zeitenwende. Man spürt in allen Äußerungen meiner Kontakte den gestärkten Zusammenhalt und die eiserne Entschlossenheit, über alle politischen Lager hinweg, die Ukraine zu verteidigen. Sei es nun bei den Streitkräften oder als bewaffneter Zivilist oder beim Bau von Verteidigungsanlagen oder durch Hilfe für Ausgebombte und Flüchtende.

 

Ich habe aus den letzten Tagen einige Zitate aus meinem ukrainischen Freundeskreis auf Facebook zusammengetragen. Da ich selbst weder Ukrainisch noch Russisch spreche, habe ich die Texte mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms frei übertragen (und teilweise gekürzt und redigiert). Keine tiefschürfenden Analysen, sondern ganz persönliches. Es gibt alles, Verzweiflung, Zuversicht, Trauer, Fürsorge, Zuspruch, Aufmunterung, Kampf geist, Überlebenswillen, Dankbarkeit.“

 

<strong>Gewöhung an das Grauen</strong>
Julia schreibt: „Es herrscht immer noch Krieg in unserem Land. Immer öfter hören wir, dass die Möglichkeit besteht, dass sich das noch Monate hinzieht. Die Welt fängt langsam an, wieder ihre Geschäfte zu machen, Flaggen der Unterstützung auf Facebook verschwinden. Hier und da weigern sich Länder wegen ihrer eigenen Ängste, uns zu unterstützen. Aber in der Ukraine sterben immer mehr Menschen. Ich weine jeden Tag über die Nachrichten.  Hier stirbt ein weiteres Kind in den Armen untröstlicher Eltern. (Wie schrecklich es überhauptist, „ein weiteres Kind“ zu schreiben.) Hier bleiben die Kinder als Waisen zurück, denn das Auto mit ihrer Familie wurde bei der Evakuierung beschossen. Und viele Autos wurden beschossen, wo niemand überlebt hat. Wir alle kennen jemanden, der in diesem sinnlosen Krieg gestorben ist, der geliebte Menschen verloren hat, dessen Haus zerstört wurde, der fliehen mussten, alles zurücklassen musste, wofür er oder sie lebte. Ich weiß nicht, wie ich den Menschen erklären soll, dass in meinem Land menschliches Leben geschätzt wird, dass wir in meinem Land keine Häuser, Schulen, Krankenhäuser und Entbindungskliniken beschießen würden. Ich weiß nicht, wie ich den Leuten erklären soll, dass wir keine Faschisten und Nazis sind und keine Militärjunta haben. Ich weiß nicht, wie man das mit den so genannten Volksrepubliken Donezk und  Luhansk erklären soll, wenn sie nicht zuhören wollen.Es ist, du weißt schon, wie wenn du ein Kind bist und jemand dich für etwas beschuldigt, das du nicht getan hast, aber niemand dir glaubt. Ich schreibe diesen Beitrag [im Original erheblich länger] jetzt seit 2 Tagen und kann kein Ende finden. Ich ersticke vor Tränen und Machtlosigkeit. In der Stadt, wo es heute ruhig war, heulen jetzt die Sirenen. Und der Flughafen wurde bombardiert.“
Mobilmachung
Alexey, ein Tango-Lehrer, hat sich gleich zu Beginn des Krieges zum Militärdienst gemeldet. Er schreibt: „Viele Menschen bitten in den militärischen Registrierungsbüros um Anstellung. Alte und Jugendliche, Männer und Frauen, Gesunde und Kranke. Natürlich werden es mit jedem Kriegstag weniger, denn die meisten, die es wollten, sind bereits in den Reihen der Armee.  Menschen, die wir nicht für den Dienst mit der Waffe aufnehmen dürfen, werden gebeten, sich anderweitig nützlich zu machen, Schützengräben auszuheben, Munition zu liefern. Erfahrene Männer mit Kampferfahrung, die älter als das Militäralter sind, beteuern, dass sie nicht untätig herumsitzen und darauf warten können, dass der Feind in ihr Haus kommt. Schade, dass wir nicht alle nehmen können.“
Stolze Ukrainerin mit russischer Sprache
Elena schreibt: „Meine Muttersprache ist Russisch (meine ganze Familie spricht russisch), einer meiner Ausbilder ist Lehrer für russische Sprache und Literatur, mein Lieblingsschmöker war Doktor Schiwago von Boris Pasternak, ich liebte viele russische Schriftsteller und Intellektuelle. Nach den aggressiven Aktionen der Russen im Jahr 2014, die die Krim, den Donbass und Luhansk besetzten, nach ihren schrecklichen und terroristischen Aktionen gegenüber allen Ukrainern und Krim-Tataren, die in dieser Region leben, und nach dem 24. Februar 2022 beginnt der unmenschliche, terroristische Krieg von Russland in der Ukraine, und nach so vielen Toten, Leiden, Trauer, Ruinen, die russische Terroristen über unser Land gebracht haben, empfinde ich Ekel für alles, was die Russen hier erschaffen. Ich unterscheide mich immer mehr von Russen. Wir haben hier nichts gemeinsam. Ich bin Ukrainerin und ich bin stolz darauf!“
Bleiben oder Flucht
Marina schreibt: „Einer meiner belgischen Kollegen hat mich gefragt, warum meine Familie nicht aus der Ukraine weggezogen ist. Wollen sie nicht? Was ist das Problem, einfach wegzugehen? Meine lieben belgischen Freunde, ihr wisst nicht, wie dramatisch die Situation jetzt ist. Die Leute sind nach einer langen Reise von 4-5 Tagen so erschöpft. Einige von ihnen fallen hin. Ich weiß, dass es Bekannten von mir passiert ist. Und wir reden jetzt über junge und gesunde Menschen. Fragt einmal nach alten und kranken Menschen. Sie bleiben in der ukrainischen Stadt und werden bombardiert. Weil sie wissen, sie werden diese Reise nicht überleben, von ihrer Heimat weg zu gehen ins Nirgendwo. Es ist eine unglaubliche Tragödie in meinem Land.“
Aufruf zur Moralischen Unterstützung
Natalia aus Lwiw, Westukraine, schreibt mir auf Deutsch: „Was ich noch sagen wollte. Lieber Siegfried – deine Worte über unsere katastrophale Situation – sie gibt es nicht! Keine Katastrophe! Bitte, glaub! Sei nicht verzweifelt! Du bist nicht hilflos. Deine eindeutige Position – das ist deine Investition! In deinen Gedanken und Messages soll starke Sicherheit bleiben, dass wir gewinnen! Anders geht nicht. Auch deinen Freunden verbreite solche Stimmung – es ist wichtig für uns! Wir werden spüren solche Unterstützung!“

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